02/22/08
Hemperium | Ulm | Klampf der Giganten III
(Bericht von Lennart)
Tourstart: Um 13:20 Uhr lege ich den Stift aus der Hand, krame das Papier zusammen und sehe zu, dass die nummerierten Zettel in richtiger Reihenfolge im vorgeschriebenen Mantelbogen landen. Klausur abgeben. Nichts geht mehr. Die Selbsteinschätzung schwankt zwischen 2 und 5.
Aber ich muss jetzt nach vorn gucken. Ich habe noch 75 Minuten, um nach Hause zu fahren, meine Sachen zu packen, vielleicht mal was zu essen (kam ich heute noch nicht zu), nen Kaffee zu trinken (ganz wichtig!) und um 14:35 in den Zug zu steigen. Also eng, aber Zugbindung!
Auf dem Rückweg von der Uni lässt sich ein etwa 50 Meter vor mir fahrender Fahrradfahrer auch noch von einem Auto anfahren. Na super... Hast doch im Zivi was gelernt. Warst doch Sanitäter. Alles klar, Bürgerpflicht, anhalten und helfen. Jetzt ist also noch weniger Zeit für Sachen packen, nach Hause radeln, Kaffee trinken und vielleicht auch noch was essen. Zum Glück hat sich der Mittvierziger nur ein paar Prellungen und eine deutliche Spur schockbedingter Verwirrung davon getragen. Also weiter.
Zu Hause angekommen, reicht die Zeit für Kaffee und Kippe (Priorität 1) und Packen (Priorität auch 1, weil ohne Kabel, Gurt, usw. ist Kacke). Essen kaufe ich mir auf dem Fußweg zum Gleis, der glücklicherweise nur 3 Minuten beträgt und steige in den völlig überfüllten Regionalexpress nach Bremen. Na super. Nichtmal in Ruhe essen kann man in dem Gedränge.
In Bremen ist erstes Umsteigen. Und das ist gut, denn wir können den blöd-vollen Zug verlassen und das große Bon-Bon dieses Wochenendes genießen. Auf Grund des günstigeren (!) Preises – Supersparpreis – der aber nur noch hier verfügbar war, fahren wir dieses Wochenende First Class. Also nicht nur, dass wir jetzt in den ICE steigen, sondern auch, dass wir jetzt in die 1. Klasse des ICEs steigen. Ohne umsteigen von Bremen bis Augsburg. Abgesehen davon, dass das eine ganze Weile rauchfrei bedeutet, eine super Sache. Und es fühlt sich irgendwas zwischen sehr seltsam und gut an, am Platz mit kleinen kostenlosen Snacks bedient zu werden, Zeitungen gereicht zu bekommen und nur freundliche Worte vom Bahnpersonal zu hören. Auf unseren Wochenendticketickettouren im überfüllten Gang der zweiten Klasse sind die immer ganz anders drauf. Plastischer kann einem die Existenz der Zweiklassengesellschaft kaum vor Augen geführt werden. Die Atmosphäre verleiht einem fast schon ein erhabenes Gefühl, was wir unangenehmerweise bei uns registrieren. Sehr seltsam alles.
Wir kommen nach einer unspektakulär ereignislosen Bahnfahrt in Ulm an und finden das Hemperium relativ schnell. Es ist 22 Uhr und der Klampf der Giganten soll beginnen. Kurz nachdem wir unsere Bagage im DJ-Käfig verstaut haben, legen die Gastgeber des Klampfes, die Abteilung Liedermaching, los. Die uns unbekannten Liedermachings (ja, auch solche solls noch geben) zocken auf der Bühne ihren Kram, während ich mir ein Hanfbier bestelle, die ersten Schlücke nehme und feststelle, dass Bier mit Hanfaroma keine besonders gute Idee ist. Aber die Neugier trinkt ja bekanntlich mit. Noch nicht so richtig angekommen höre ich eher halbherzig zu und verdrücke mich ein bisschen zu häufig in den Raucherraum, nicht sehr nett, aber da ist mir gerade nach.
Dann die Blockflöte des Todes. Kann man sich in einer Kneipe, vor 20-25 Leuten, auf eine gegenüber dem Rest des Lokals gerade mal 10 Zentimeter erhöhte Bühne stellen, sich einen roten Umhang mit der Aufschrift „underdressed and overfucked“ überhängen und dem Publikum drei Minuten den Rücken zuwenden? Ja, man kann. Der Mann ist nicht aufgetreten, er ist aufgeschlichen. Ich bin mir nicht sicher, ob er vor hatte, zu warten, bis das Publikum endlich still ist und erwartet, dass er wiederum beginnt. Wenn ja, ist das schief gegangen. Aber das ist nicht so wichtig. Denn entscheidender ist schon, wie es weitergeht. Die Blockflöte kündigt ihre Phobien an und nennt dabei die Setlistenphobie. Dazu schmeißt sie eine kleine Los-Box ins Publikum, dessen Aufgabe es jetzt ist, den nächsten Song auszulosen. Bis zum ersten Song vergeht einige Zeit, aber dann hat die Blockflöte auch gleich alle. Das Publikum, die Abteilung und uns. Wir kleben de Jung anne Lippen. Songtitel wie „Mädchenhaarallergie“ oder „Sado-Maso ist bald out“ können nur andeuten, wie gut die Sachen des Berliners - mit dem 4. Auftritt als Solokünstler ever - sind. Großes Kino.
Wir sollen als drittes spielen, was wir brav machen. Das zweite Lied unseres heutigen Sets müssen wir spontan in ein Geburtstagslied wandeln, denn es ist Mitternacht und „Hobel“ wird irgendwas alt. Ich habe erst letzte Woche drüber nachgedacht, ob wir nicht mal dringend ein Geburtstagslied schreiben und einstudieren sollten, um gegebenenfalls nicht auf die abgedroschenen Songs zurückgreifen zu müssen, aber bis zu diesem Tag war der Antrag an mich noch nicht durch mein persönliches Genehmigungsverfahren gekommen. Alles in allem spielen wir unsere Zeit runter, den Leuten hats wohl gefallen. Also alles super. Inzwischen bin ich glücklicherweise auch auf Hefeweizen umgestiegen. Das funzt besser.
Nach einiger Zeit verlassen wir dann Ulm, ohne je was von der Stadt gesehen zu haben. Schade eigentlich. Aber wir fahren mit Sicherheit noch mal hin.
Die Nacht verbringen wir in einem Haus, von dem wir abends beim Betreten nicht mehr mitbekommen, als dass es groß ist, leicht heruntergekommen, sehr alt und mit einer typisch linken Bibliothek ausgestattet. Absacker werden heute ausgespart, ein paar Worte und bald schon der Schlaf.