02/23/08
Linse | Weingarten | Klampf der Giganten III
(Bericht von Lennart)
Ich wache in einem großen Ehebett auf. Links neben mir liegt Philipp, rechts neben mir ist eine Wand. So auch am Kopfende. Das Fußende ist mit so nem Zaun (Wie heißt das Ding denn? Wer’s weiß, schreibe es bitte ins Gästebuch!) ausgestattet, über den ich erst mal klettern muss, denn meine drückende Blase zwingt mich aufzustehn.
Nach erfolgreicher Operation Entleerung blicke ich auf die Uhr und stelle fest, dass es kurz nach neun ist. Ich verlasse mein Domizil, denn mir ist gerade nicht mehr nach schlafen, aber ich bin mir sicher, dass der rumliegende Schlafsack Philipp und die alte Flöte beide noch einige Zeit ratzen wollen würden.
Ich besorge mir Kaffee, besser gesagt Cappucino und genieße die belebte Ravensburger Innenstadt. Es ist Markt, es ist hübsch und überall sind Leute. Plötzlich sehe ich im Vorbeigehen ein reduziertes Paar schöne Schuhe, das leider nicht meine Größe hat. Aber es hat mich daran erinnert, dass ich dringend neue Schuhe brauche. Also ziehe ich los und habe tatsächlich im dritten Laden ein reduziertes, mich ansprechendes Paar Schuhe gefunden, das gut mit meinen Füßen harmoniert. So bin ich dann in Ravensburg früh schoppen.
Nach dem Einkauf schlendere ich noch durch die pittoreske Innenstadt, bis es mich gegen halb zwölf zurück in die WG zieht. Philipp schläft immer noch, aber in der Küche tagt ein 15-köpfiges Kollektiv (so scheint es zunächst), das sich dann doch als frühstückender Freundeskreis entpuppt. Irgendwann erwachen die Schlafmützen und wir rufen Linke von der Abteilung an, um zu frühstücken. Der kommt vorbei, holt uns drei ab und wir besuchen ihn, seine Tochter Mara und deren Mutter Bianca im trauten Heim. Ein großes Frühstück am gut gedeckten Tisch. Lecker!
Anschließend chillen im Shirt auf dem Balkon. Wir sitzen in der Sonne, trinken Alster, reden und klampfen, derweil Philipp spazieren geht. Es ist Februar, muss ich mir noch mal sagen, denn das Wetter lässt mich auf Mai tippen.
Schließlich kommt Fedor vorbei und wir fahren mit den Autos nach Weingarten, in die Linse, dem Ort der heutigen Veranstaltung. Ein schöner Kinosaal in einer Größe, wo auch mal Hannes Wader spielt. Also schon was ganz anderes als gestern. Soundcheck im Detail und dann heißt es lecker essen. Die Linsenküche ist hervorragend, so viel konnten wir feststellen.
Gegen 21.00 Uhr ist dann Einlass, die Leute strömen zunächst herein, aber der Strom versiegt zu rasch. So spielt die Abteilung Liedermaching vor etwa 75 Zuschauern. Wir haben uns alle mehr erhofft, aber man steckt ja nicht drin. Heute habe ich die Muße mir den Auftritt der süddeutschen Kollegen mal genauer reinzuziehen. Die beiden überzeugen mit sehr guter Bühnenpräsenz, haben mit charmanter Verpeiltheit druchtränkte Ansagen, die großes Entertainment sind und zocken ihre Songs mit tontechnischen Spielereien seitens des Mixers. Hervorragend. Das Zuhören macht richtig Spaß.
Nach der Pause ist es für mich um so mehr eine kleine Enttäuschung, dass ein – wenn auch geringer – Teil des Publikums der Veranstaltung fortan fernbleibt und die Blockflöte also vor weniger Leuten spielen muss. Und hier zeigt sich wieder etwas ganz anderes. Was gestern der Burner war klappt heute nur noch halb so gut. Die Leute wirken so reaktionsfrei, als hätte man ihnen Nervenstränge und Rückenmark geklaut. Komisch. Und das nicht im Sinne von lustig.
Wir müssen wieder als drittes spielen, was für mich heute tatsächlich mehr ein müssen ist, als ein dürfen, wollen oder sonst irgendetwas. Unser Set stellen wir kurz vor dem Auftritt noch ein letztes Mal minimal um, um auf die veränderten Gegebenheiten zu reagieren und stellen uns dann auf die Bühne. Vielleicht total atypisch für diese Location stehen wir dort einfach herum, während das Publikum langsam aber sicher zurückkommt. Weil der Boden so schön knarzt beginnen wir „Dehnübungen“ zu machen. Wir stellen fest, dass der Saal von oben betrachtet immerhin voller aussieht, als von hinten und legen los.
Unser Set scheint zu funktionieren, die Ansagen sind ordentlich, wir sind ziemlich tight und gut dabei. Soll heißen: Wir machen wenig Fehler und schaffen es so, die etwas gelangweilt wirkende Grundstimmung des Publikums noch einmal hochzureißen. Als wir als zweite Zugabe noch „Weißt Du, wie scheiße das Lied ist?“ spielen und die drei Kollegen dazu eine Mordsperformance hinlegen, merken wir, dass der Abend gut geworden ist.
Anschließend zurück in unser herrschaftliches Domizil, von dem wir erst jetzt bemerken, welche Details sich da eigentlich im Bau finden. Kleine Brunnen im Eingangsbereich und alles verziert und verschnörkelt. Wir erfahren, dass das Haus 400 Jahre alt ist und einer Fabrikantenfamilie gehört hat, die mit Uniformen für die Nazis ihr Vermögen gemacht hat. Der Enkel der Familie findet es wiederum gut, das Haus linken Projekten und Initiativen zur Verfügung zu stellen und vermietet es daher zu einem Spottpreis an eben solche. So kanns also auch gehen. Auf dem Raucherbalkon rechnen wir ab und sitzen noch ein Weilchen zusammen. Alles super.
Ausnahmsweise muss ich in diesem langen Bericht noch einige Details von unserer Heimfahrt erzählen. In unserem Zug von Ravensburg nach Ulm treffen wir Saskia wieder, die am Vortag noch bei unserem Ulmer Konzert war. Weil wir in Ulm eine Stunde Aufenthalt hatten, chillten wir mit ihr und ihrer Freundin Jule noch ein wenig in Ulm. Und bekamen so zumindest einen Hauch von dieser Stadt mit. Es war super nett und mal wieder ein schöner Zufall. Hochsympathisch, das alles. Danach geht es „auf Grund eines Notarzteinsatz [sic!] am Gleis“ auf eine kleine Irrfahrt, die uns aber letztlich heimgeführt hat, wenn auch später als erhofft. Aber immerhin erstklassig.