06/18/10

3. Geretsrieder Liedermacherfestival

Bericht von Philipp

 

Was für eine Odyssee! Am besten fange ich mal ganz von vorne an:

Es ist Donnerstagabend. Heute Nacht fahren wir mit dem Zug nach Geretsried. Das liegt etwas südlich von München. Warum fahren wir da hin? Wir sind von über 60 Bewerbern für das Geretsrieder Liedermacherfestival eingeladen worden. Dieses Festival findet alle zwei Jahre und dieses Jahr zum dritten Mal statt. 20 Minuten sollen wir dort morgen spielen und am Ende wird vom Publikum abgestimmt. Selbst wenn wir den letzten, also fünften Platz belegen, sind uns immerhin 100 Euro Preisgeld sicher. Im schlimmsten Fall zahlen wir also etwas drauf, denn das Bahnticket kostet für uns beide hin und zurück 170 Euro. Also kein großes finanzielles Risiko, trotzdem mal wieder eine leicht wahnsinnige Aktion unsererseits, dafür einmal quer durch Deutschland zu fahren, aber was tut man nicht alles, um sich selbst Herausforderungen zu stellen.

Wir steigen also um 22:35 Uhr in den Zug nach Bremen und dann in den ICE nach Hamburg. Auf der Fahrt vertreiben wir uns die Zeit mit ein paar Partien Back Gammon, von denen ich gegen den mir in der Regel überlegenen Lennart zwei Spiele gewinne und nur eines verliere.

In Hamburg betreten wir dann den City Night Line nach München, wo wir morgen früh um 9 Uhr ankommen werden. Wir haben uns keinen Schlafwagen gegönnt, darum hoffen wir auf ein leeres Abteil, um uns dort ausstrecken zu können. Diese Hoffnung wird allerdings zerschmettert, denn es befinden sich bereits vier Personen in unserem Abteil. Es ist warm und stickig, die Heizung lässt sich nicht drosseln und das Fenster nicht öffnen. Es ist eng und es gibt keine Möglichkeit, es sich irgendwie bequem zu machen. Im Sitzen kann ich nicht schlafen, darum begebe ich mich schnell zu den Fahrrädern und lege mich auf den Boden. Meine Klamotten dienen mir dabei als Kissen und Hüftknochenunterlage, Es gelingt mir, etwa zwei Stunden zu schlafen. In Fulda lerne ich einen Oi-Punk-Veteranen kennen, mit dem ich mich angeregt über Bands und Konzerte unterhalte und in den Pausen Zigaretten rauche. In Nürnberg steigt er aus und mittlerweile ist unser Abteil leer, wir machen uns lang und schlafen bis München durch. Von dort aus geht es in die S7 nach Wolfratshausen und von da in den Bus nach Geretsried. Nach ziemlich genau zwölf Stunden Fahrt sind wir also da.

Der Soundcheck beginnt erst ab 15 Uhr, also verbringen wir die verbleibenden vier Stunden auf der Terasse einer Gaststätte, wo später das Spiel Deutschland gegen Serbien gezeigt wird. Außerhalb des überdachten Bereiches regnet es und es ist für Mitte Juni verdammt kalt, vor allem wenn man so übermüdet ist wie wir. Trotzdem staunen wir über die Qualität des HD-Fernsehens. Das Spiel ist nervenaufreibend und geht für die deutsche Mannschaft äußerst unerfreulich aus. Zuerst die rote Karte für Miro Klose (übertrieben kleinlicher Schiri, wie auch Marcel Reif findet) und dann noch das Gegentor vor der Halbzeitpause. In der zweiten Hälfte spielen die Deutschen zwar, als wären sie immer noch zu elft, aber es will einfach nicht gelingen. Eine Chance nach der anderen wird versemmelt und sogar der Elfmeter geht in die Hose.

Wir haben aber keine Zeit, in große Trauer auszubrechen, denn wir müssen zum Soundcheck in die Aula der Karl-Lederer-Grundschule. Unser Backstagebereich ist ein Klassenzimmer und die Pissoirs des Knaben-WCs sind etwas tiefergelegt. Schnell treffen wir auf unsere heutigen Mitstreiter, von denen wir bereits zwei kennen, nämlich Johanna und Holger, denen wir zuletzt beim Liederfest in Hoyerswerda begegnet sind. Schon beim Soundcheck wird uns klar, dass die Konkurrenz nicht schläft. Es wird hart. Natürlich wollen wir gerne gewinnen, ich für meinen Teil rede mir aber schon mal ein, dass das sehr unwahrscheinlich ist und ich schon mit dem vorletzten Platz einigermaßen zufrieden wäre. Konkurrenzdenken ausschalten, einfach machen und sehen, was passiert. Wir können nur unser Bestes geben, alles andere haben wir ohnehin nicht in der Hand.

Fast pünktlich um 19 Uhr beginnt die Veranstaltung und als erstes ist Holger Saarmann aus Berlin dran. „Wir liefen alle sehr nervös hin und her“ (R. Bierhorst in seinem Song „Betroffenheitssongwettbewerb“) und darum bekomme ich nicht viel von Holger mit. Ich merke aber, dass er ein ziemlich lupenreines Gitarrenspiel drauf hat. Mit seinen eher traditionellen Liedermacherstücken kann er sicherlich bei dem überwiegend älteren Publikum punkten.

Schon sind wir dran. Spieltrieb aus Oldenburg. Wir beginnen mit „Let me InSect“, dann kommen unsere neueren Stücke „Scherbenwelt“, „Handgepäck“ und „Kleines Mädchen“. Ich fühle mich, im Gegensatz zum letzten Wettbewerb in Hoyerswerda, erstaunlich locker, die Ansagen gelingen und ich glaube, wir machen das recht gut. Unsere Restnervosität merkt uns bestimmt keiner an.

Schon ist es vorbei, ich setzte mich ins Publikum und uns folgt Johanna Moll aus Erlangen.Die finde ich sowieso super und auch heute überzeugt sie mich wieder. Mit Klavier und Akkordeon begleitet sie ihre sehr kabarettistischen Lieder und wirkt dabei total sicher und absolut präsent.

Martin Sommerhoff aus Gießen ist nicht minder spannend. Seine Ansagen sind gut vorbereitet und er sorgt für Unterhaltung. Schön, dass auch Liedermacher jenseits der 40 so viel Humor haben.

Als letztes spielt Gerhard Peter aus Schongau. Er singt auf Bayrisch und feiert sich auf ironische Art und Weise selbst als den „König des bayrischen Chansons“. Mit Krone und Umhang macht das natürlich auch optisch was her. Auch seine satirische Beschreibung eines widerlich-versoffenen bayrischen Stammtisches treibt selbigen makaber auf die Spitze.

Was soll man sagen? Wieder einmal hat jeder heutige Künstler seine eigene individuelle Seite gezeigt und jegliches „Besser“ oder „Schlechter“ kann nur noch Geschmackssache sein. Das arme Publikum hat nur eine Stimme und muss sich einen der fünf Akteure herauspicken und den Stimmzettel in die Urne werfen.

In der Pause verkaufen wir schon einmal erstaunlich viel CDs, was mich überraschend erwarten lässt, heute vielleicht sogar im oberen Mittelfeld zu rangieren. Vom letzten bis zum ersten Platz werden alle Gewinner verlesen und wir können es nicht fassen, als wir tatsächlich den ersten Platz und mit ihm einen Scheck und eine Urkunde verliehen bekommen.

Völlig überwältigt spielen wir drei Zugaben und ignorieren, dass wir aufs Klo müssen und schon länger keine mehr geraucht haben. Wir singen noch „Darlehn“, „Wollen dürfen“ und „Sonnenbrand“, verkaufen später noch ein paar CDs und kommen dann erst dazu, zu rauchen und unsere Sachen zu packen.

Im Anschluss werden alle Beteiligten zum Italiener eingeladen, bevor wir noch von einem netten Helfer zum nächsten Bahnhof gebracht werden.

Gegen 1:30 Uhr nachts kommen wir am Münchener Hauptbahnhof an, wo wir bis 5:16 Uhr auf unseren ICE warten müssen. Die Zeit vergeht aber zunächst wie im Flug, da wir den Kabarettisten Micki Wohlfahrt kennen lernen, der wie wir von einem Auftritt kommt und morgen sogar nochmal ran muss. Wir unterhalten uns prächtig, tauschen Flyer aus und um viertel nach drei trennen sich unsere Wege. Da geht nämlich sein Zug. Die letzten zwei Stunden verbringen wir Bier trinkend und rauchend, bevor wir mit dem ersten ICE nach Nürnberg fahren. Von da aus geht es dann bis Bremen und gegen halb zwölf sind wir total fertig aber zufrieden zurück in Oldenburg.

Was für eine Odyssee!