12/04/10

Zum fröhlichen Schmidt | Eisfeld

Bericht von Philipp

Und schon wieder: Time to say Goodbye! Heute hier morgen dort, bin kaum da, muss ich fort. Als Till, Maren und der Rest der WG gerade aufstehen, packe ich schon meine Sachen. Till bringt mich noch raus und auf der Treppe vor der Tür begrüßt uns erstmal ein schöner Kotzfleck, der wohl im Rahmen des gestrigen Abends in der Disko entstanden ist, die zwei Stockwerke unter der WG liegt.

Im Krokodil öffnet mir Fabian, der noch ziemlich zerrockt von gestern ist. Von ihm erfahre ich, dass Lennart wohl auch noch bis fünf Uhr geblieben ist und sich beim Absinthtrinken Brandblasen am Finger zugezogen hat. Hoffentlich wirkt sich das die nächsten Tage nicht ernsthaft auf sein Gitarrenspiel aus. Na ja, Lennart kommt jedenfalls auch bald, wir laden die Anlage ein und fahren los. Es geht ins thüringische Eisfeld im Kreis Hildburghausen. Die Autobahnroute beträgt 300 km, während die Route über Land sich gerade mal über 200 km erstreckt. Klar, welche wir wählen. Auf dem Weg kaufen wir noch etwas zu essen ein. Die kurze Route hat den Nachteil, dass sie uns über Strecken führt, die schneetechnisch nicht geräumt sind. Wir biegen in einen kleinen Weg ein, der noch voll mit Schnee ist und außerdem bergauf führt. Am Ende kommt eine Steigung, die wir auch nach mehreren Versuchen nicht überwinden können. Also schnell im Feld gewendet und wieder zurück gefahren. Puh, ich hatte echt schon Schiss, dass wir hier stecken bleiben. Auf dem Rückweg entdeckt Lennart den Tankdeckel des Wagens am Wegesrand liegen. Unsere Umkehraktion hatte also doch was Gutes. Im Sonnenschein fahren wir weiter über die romantisch-verschneite Winterlandschaft.

Ankunft beim fröhlichen Schmidt in Eisfeld. Ein altes Gasthaus der Familie Schmidt, deren Sohn Sebastian (Schmidders) den Laden weitgehend übernommen hat. Am warmen Holzofen stehend, wärme ich mich erstmal auf. Diese Scheißkälte muss mit aller Macht und Entschlossenheit bekämpft werden. Zunächst wird mal zünftig gegessen. Zum ersten Mal in meinem Leben esse ich, zumindest bewusst, Pferdefleisch. Die Schmidts haben nämlich eine eigene Fleisch- und Wurstproduktion und die Pferdeklöße wurden uns schon von unseren Erfurter Liedermacherkollegen von Kalter Kaffee empfohlen und solch lokale Spezialitäten sollte man doch nicht verschmähen.

Man merkt schnell, dass hier viel getrunken und erst recht geraucht wird. Schon lange vor unserem Auftritt ist der Raum so verraucht, dass ich hin und wieder das Fenster ankippen muss. Noch hält sich hier eher die ältere Generation auf. Einer von ihnen ist früh da und bereits betrunken und will und die ganze Zeit etwas erzählen, aber wir verstehen ihn einfach nicht. Die Mischung aus Dialekt, Gelalle und lauter Musik aus der Box macht es uns unmöglich, was ihn aber nicht davon abhält, es immer wieder zu versuchen. Das einzige, was ich immer verstehe ist: „Spielt ihr auch was von Ingo Reiser?“ Keine Ahnung, ob er wirklich „Ingo“ sagt, oder dann doch tatsächlich „Rio“.

Die jungen Leute kommen laut Schmidders erst ab 22 oder 23 Uhr. Wir beschließen also, den Verlauf des Abends zu strecken, indem wir erst ab 21 Uhr beginnen und mehrmals eine halbe Stunde spielen. Außerdem kommt noch Cynthia aus Fulda angereist, die sich aber zunächst kaum blicken lässt und auch noch auf ihren Gitarristen wartet.

Wir beginnen mit einem ruhigen Set und einige Leute sind wirklich hier, um uns zuzuhören. Andere interessiert das mal wieder nicht sonderlich und sie zerreden alles, so dass sich andere sogar schon darüber beschweren. Cynthia ist nach unserem ersten Set immer noch nicht so weit, also starten wir nach einer kleinen Pause das zweite Set mit dynamischeren Liedern. Langsam füllt sich der Raum. Es wird immer noch teilweise geredet, teilweise aber auch freudig gelauscht.

Jetzt ist Cynthia dran. Ihr Gitarrist ist immer noch nicht da also spielt sie alleine. Wie soll ich sie beschreiben? Ich sag mal, eine wirklich bezaubernd hübsche Punkerqueen mit einer Stimme, die echt Potenzial hat. Saubere, feine Töne reichen sich die Hand mit fast schon erschreckend kratzigen, reibeisernen Tönen. Auch wenn sie E-Gitarre spielt und der Sound wirklich schrottig wie aus dem Zimmer eines 14-jährigen klingt, der gerade seinen ersten Verstärker ausprobiert, merkt man, dass sie echt gute Pickings drauf hat. Auch die Songs haben Struktur und Ausdruckskraft. Allerdings hat die gute Frau eine etwas zu coole, schon fast arrogante Ausstrahlung, die für mein Empfinden alles eben beschriebene kaputt macht, auch wenn sie vielleicht gar nicht so ist, sondern lediglich ihre Unsicherheit überspielt. Das finde ich schade. Ist aber auch nur meine Wahrnehmung.

Unser drittes Set ist wohl überlegt und steckt voller Kracher. Der Sound ist lauf aufgedreht und ich finde, dass wir rocken. Außer einigen Zuhörern und einem betrunkenen Portugiesen, der einen Ausdruckstanz hinlegt, werden wir aber eher spärlich wahrgenommen. Am Ende der Songs wird kaum geklatscht, was ja schon ne Menge aussagt. Spontan entscheiden wir, das Set zu kürzen und uns von Musik aus der Konserve austauschen zu lassen. Es ruft zwar noch jemand: „Öi, spielt doch noch einn, wir ham hier heute ein Geburtstagskind!“, was uns aber auch nicht überzeugt, weiter zu machen. Schmidders hatte uns schon angekündigt, dass das hier etwas schwierig werden wird. Er ist aber großer Liedermachingfan und es bedeutet ihm viel, dass wir hier spielen. Er und ich teilen wirklich einen ähnlichen Musikgeschmack und beschließen, morgen Musik auszutauschen.

Ich bin mal wieder nüchtern und will zunächst schnell aus dem Rauch und der ganzen Betrunkenheit um mich herum raus, darum ziehe ich mich ins Womo zurück, wo ich der potenziellen Erkältung noch mit Obst und Schokolade vorbeuge.